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Lass uns über mentale Gesundheit reden

Know How

Leistungs- und Erwartungsdruck, unsicheres Einkommen, teils prekäre Arbeitssituationen oder extrem unregelmäßige Arbeitszeiten – und nun auch noch die Corona-Pandemie und ihre Nachwirkungen. Der Job als professionelle*r Musiker*in ist nicht so romantisch und leicht, wie viele Außenstehende meinen.

Dieser Blogbeitrag wurde ausschließlich zu Informationszwecken erstellt und ist nicht als Gesundheitsberatung gedacht und sollte auch nicht als solche angesehen werden. Du solltest einen Berater und/oder Fachleute für psychische Gesundheit konsultieren, bevor du irgendwelche persönlichen Entscheidungen triffst. Am Ende dieses Artikels findet ihr Links zu Hilfestellen.

Auch wenn es sich in den letzten Jahren deutlich gebessert hat, wird auch heutzutage noch zu wenig über psychische Erkrankungen gesprochen. Die DGPPN, die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V., schätzt, dass es knapp 18 Millionen Betroffene in Deutschland gibt, die die Kriterien für eine psychische Erkrankung erfüllen – mehr als jede*r Vierte. Von diesen Betroffenen nehmen jedoch lediglich knapp 19% Kontakt zu Leistungsanbietern auf.

Bei Musiker*innen ist die Zahl nochmal deutlich höher: Die Studie The73Percent fand heraus, dass 73% aller unabhängigen Musiker*innen an Symptomen psychischer Erkrankungen leiden und eine dreimal höhere Wahrscheinlichkeit haben, psychisch krank zu werden als andere Menschen. Kanye West, James Blake, Mariah Carey oder Justin Bieber sind nur einige Beispiele an großen, internationalen Superstars, die ihre Erkrankungen öffentlich gemacht haben.

 

In a way I kinda married my own depression
How the hell did I get here?
AVEC – My Wife The Depression

 

Die Gründe für die Anfälligkeit von Musiker*innen sind vielfältig: Versagensangst, finanzielle Unsicherheit, Leistungsdruck und Einsamkeit sind dabei die am häufigsten genannten – unabhängig vom Stand der Karriere oder des Erfolgs. Das es wirklich jede*n treffen kann, wird auch bei einem Blick auf die deutsche Musikszene deutlich. So hat die Musikerin AVEC aus Österreich im Zuge der Veröffentlichung ihres Songs „My Wife The Depression“ bekanntgegeben, dass sie sich seit sechs Jahren in Therapie befindet. Im Song selber beschreibt sie, wie sie im Grunde mit ihrer Depression verheiratet ist, immer wieder versucht sich abzulenken, aber nicht von ihr loskommt. Inzwischen spricht AVEC offen über ihre Erfahrungen mit Panikattacken, Selbstzweifeln und Depressionen und möchte dem Thema damit mehr Aufmerksamkeit verleihen.

 

Das mehr Menschen erkrankt sind, als auf dem ersten Blick ersichtlich ist und man es ihnen auch nicht unbedingt ansieht, wird auch am Beispiel von Jakob Amr klar, seines Zeichens Sänger der Kieler Indie-Band Leoniden. Die Band ist für ihre tanzbaren und energiegeladenen Liveshows bekannt. Er hat vor wenigen Monaten einen deutlichen Apell geschrieben, sich mit Themen wie Depression oder ähnlichen psychischen Erkrankungen stärker auseinanderzusetzen – er ist selber seit mehreren Jahren betroffen. Im Interview mit dem Radiosender egoFM stellt er klar:
„Ich bin nicht depressiv geworden, weil Djamin [Izadi, Teil der Band, Anm. d. Red.] und ich zu viel gekifft haben. Ich bin auch nicht depressiv geworden, weil unsere Karriere schlecht läuft. Ich bin auch nicht depressiv geworden, weil irgendjemandem meine Musik nicht gefällt oder weil Lennart [Eicke, Teil der Band, Anm. d. Red.] mir die Gitarre in die Fresse gehauen hat. Ich bin einfach depressiv geworden, weil es passieren kann und zwar jedem und jeder.“ 

 

Lieber Hilfe bei Freunden und Familie suchen, als bei Alkohol und Drogen

 

The73Percent fand heraus, dass zwei von fünf (39%) betroffenen Musiker*innen professionelle Behandlungen gegen ihre Symptome aufgesucht haben, wobei es bei den 18-25-jährigen lediglich eine*r von drei (33%) waren. Zudem haben acht von zehn (84%) Betroffenen mit professionellen Berater*innen gesprochen. Aber auch Alkohol und Drogen sind für viele ein Versuch, um mit ihren Symptomen umzugehen: 51% gaben an, sich mit derartigen Mitteln selbst behandelt zu haben, wovon 54% zu Alkohol griffen, 50% zu anderen Drogen und 32% zu verschreibungspflichtigen Medikamenten. Das insbesondere diese Formen der Selbstmedikation auch erhebliche Risiken bergen und die Probleme meist nur verschlimmern, sollte eigentlich klar sein.

 

Stattdessen sollte man sich im Freundes- und Familienkreis Hilfe suchen und die eigenen Probleme ansprechen. In seinem Instagram-Post beschreibt Jakob Amr auch, das sich Besserung nur aufgrund der Unterstützung seiner Freunde und Familie eingestellt hat. Zudem erzählt er, wie schwierig es für ihn war, einen Therapieplatz zu finden. Zwar lassen sich zum Beispiel über die Arztauskunft Niedersachsen schnell Therapeut*innen finden, aber gerade aufgrund der Corona-Pandemie gibt es nur wenige freie Plätze und ein Durchtelefonieren der zahlreichen Therapeut*innen ist für Betroffene häufig eine große Anstrengung – ganz abgesehen von der Hemmschwelle, sich überhaupt Hilfe zu suchen.
Deswegen gibt es für hannoversche Betroffene als erste Anlaufstelle auch die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. Hier wird Betroffenen innerhalb weniger Wochen ein Erstgespräch bei Therapeut*innen vermittelt, eine Überweisung eines Hausarztes ist dafür nicht erforderlich.

 

Professionelle Hilfe sollte kein Tabuthema sein

 

Gerade Musiker*innen wünschen sich aber Therapeut*innen, die etwas von ihrem Business verstehen, den Druck und den Stress kennen und ihren Beruf nicht romantisieren. Aus diesem Grund wurde der Mental Health in Music-Verband (MiM) gegründet. Der Verband gilt bereits jetzt als zentrale Anlaufstelle für alle Personen aus der Musikbranche und Kreativwirtschaft mit einem Interesse am Thema Mental Health. Gegründet von den drei Psycholog*innen Anne Löhr, Michael Wecker und Franziska Lauter, die alle drei auch langjährige Erfahrungen in der Musikbranche haben, bietet der Verband unterschiedliche Dienstleistungen an, die sich gezielt mit den Herausforderungen der Musiker*innen und der Branche befassen. Neben zahlreichen unterschiedlichen Sessions bietet der Verband auch eine kostenpflichtige Erstberatung an, an welcher im Anschluss das weitere Vorgehen gemeinsam besprochen wird.

 

Im Gespräch mit dem Deutschen Musikrat geben Anne Löhr und Michael Wecker einen kurzen Einblick in die Notwendigkeit ihrer Arbeit und was man als betroffene*r Musiker*in tun kann: 

 

Es ist folglich richtig und gut, dass konsequent weiter über die mentale Gesundheit von Musiker*innen gesprochen wird – gerade während der Corona-Krise. Ob in Podcasts (wie Mental Mall vom DIFFUS Magazin mit Mia Morgan und Search Yiu oder COSMOs Danke, gut. mit Miriam Davoudvandi) oder auf Konferenzen (wie der Most Wanted: Music, dem Pop-Kultur Berlin oder Reeperbahn Festival): Die aktuelle Pandemie wird häufig zurecht als Chance begriffen, das Thema der psychischen Gesundheit endgültig in den Vordergrund zu rücken. Es ist ein Thema, das bisher zu häufig tabuisiert wurde, aber mit dem sich alle auseinandersetzen sollten – sei es als Präventivmaßnahme, zur Selbsthilfe oder um bei Freund*innen und Mitmusiker*innen Anzeichen zu erkennen und ihnen beizustehen.

 

Aus diesem Grund findet ihr nachfolgend noch eine Liste mit relevanten Links zum Thema. Informiert euch und gebt auf euch Acht.

 

 

Krisentelefone:

Kassenärztliche Bundesvereinigung / Ärztlicher Bereitschaftsdienst: 116117

Telefonseelsorge: 0800 1110111 oder 0800 1110222 oder 116123 
Muslimisches Seelsorgetelefon: 030 – 443509821

Psychosozialer / Psychiatrischer Krisendienst (PPKD) in der Region Hannover: 0511 – 30 03 34 70 (Fr. 15:00-20:00 Uhr; Sa., So. & Feiertage 12:00-20:00 Uhr)

 

Hilfestellen:

Arztauskunft Niedersachsen
Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen

Informationsmaterialien:

Das Klemmbrett: Anlaufstellen bei psychischen Problemen und in belastenden Lebenssituationen
Mental Health in Music-Verband: Übersicht an Hilfsangeboten für Musiker*innen und Angehörige

The 73 Percent: Studie zur mentalen Gesundheit im Musikbusiness (auf Englisch)

Freiburger Institut für Musikergesundheit: Checkliste Musiker*innengesundheit

Association for Electronic Music (AFEM): Ratgeber „Mental Health“ (auf Englisch)

BackstagePro: Ratgeber „Damit Musik gesund bleibt“

Deutscher Musikrat: Mental Health in Music

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